Von Verunglimpfungen und unmoralischen Angeboten

Warum es mir neuerdings einen diebischen Spass macht, auf den Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten herumzureiten und diese ungefragt auch den Leuten aus der PR-Branche um die Ohren zu hauen.

Das unerfreuliche Wort der Lügenpresse ist keine neue Erfindung. Im Deutschland der Nationalsozialisten hatte es eine bewegte Karriere, doch hierzulande hat es früher niemand benutzt. In der Schweizer Mediendatenbank gibt es während hundert Jahren (von 1900 bis 1999) gerade mal vier Treffer (18. April 1910, Juni 1960, Februar 1983 und September 1996). Alle stammen aus der NZZ, was natürlich damit zu tun hat, dass die NZZ die einzige Schweizer Zeitung ist, die von Anfang an digital und durchsuchbar archiviert ist.

Alles nur Lüge? (Bild: kalhh/Pixabay, CC0)

Wenn man im Vergleich nur die NZZ von den Jahren 2015 bis heute durchsucht, kommt man auf 87 Resultate. Die «Lügenpresse» hat in den letzten Jahren eine beachtliche Karriere hingelegt. Und es ist unübersehbar so, dass ein Teil der Leute es ganz normal im Munde führen. In meinem Teil meines Facebook-Bekanntenkreises lese ich es inzwischen als normaler Begriff für die grossen Medien. Es wird auch als Abgrenzung zu den alternativen Informationsanbietern benutzt und ist ein Synonym zu Systemmedien und Mainstreammedien.

Klar, es ist ein ganz spezieller Teil meines sozialmedialen Bekanntenkreises: Nämlich derjenige, der die zweifelhafte Ehre hatte, auch schon hier und hier bebloggt worden zu sein. Ich nenne sie hier einmal freundlich die «Freunde unorthodoxer Welterklärungsmodelle», kurz Fuwem. Wie gross und repräsentativ die Gruppe der Fuwem ist, kann ich unmöglich sagen. Ich vermute, nicht so gross, wie man glaubt. Da die Fuwem durch ein enormes Mitteilungsbedürfnis auffallen, ständig posten und sich gerne überall einmischen, fallen sie mehr auf als die vernünftigen, schweigenden Beobachter.

Retourkutsche gefällig?

Bei der Diskussion mit den Fuwem ist mir aufgefallen, dass manche Leute so in ihrer Denkweise gefangen sind, dass sie ihre Wortwahl gar nicht mehr hinterfragen. Da diskutiert einer ellenlang und unter konstanter Verwendung des Lügenpresse-Begriffs mit mir auf Facebook, um dann aus allen Wolken zu fallen, wenn ich ihn dann nach seinem Job frage, damit ich im Gegenzug eine despektierliche Bezeichnung dafür vom Stapel lassen kann. Warum sollte man das persönlich nehmen, ist dann die Frage.

Denn offensichtlich verhält es sich wie mit der Xenophobie des Methusalix («Du kennst mich doch, ich hab’ nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden da sind nicht von hier!»): Persönlich wird man womöglich geschätzt, aber bei der Verunglimpfung eines Feindbildes halt etwas auf einen abfällt, so ist das ein unvermeidlicher Kollateralschaden. Und wieso sollte man sich darüber aufregen? So geht es auch Atomkraftwerkmitarbeitern, Angestellten von Grossbanken, Polizistinnen, Politikern, Frauen und eben den besagten Fremden.

Hinterfragen ist deren Stärke nicht

Bei den Fuwem ist Hopfen und Malz verloren. Für die ist es typisch, dass sie ihre Glaubenssätze nicht hinterfragen und Kampfbegriffe mit Argumenten verwechseln. Und dass ich schon wieder Diskussionen mit ihnen geführt habe, fällt nur auf mich zurück, weil ich es hätte besser wissen können. Aber ich habe mir vorgenommen, die Snooze-Funktion von Facebook und Mute von Twitter häufiger zu nutzen. Oder die gute alte Blockierfunktion zum Einsatz kommen zu lassen.

Und wo wir bei den guten Vorsätzen sind: Ich werde künftig auf den Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten herumreiten, wie sie hier im Berufsregister und hier in praktischen Beispielen des Presserats aufgeführt sind. Da stehen so bemerkenswerte Dinge wie das hier:

Die Verantwortlichkeit der Journalistinnen und Journalisten gegenüber der Öffentlichkeit hat den Vorrang vor jeder anderen, insbesondere vor ihrer Verantwortlichkeit gegenüber ihren Arbeitgebern und gegenüber staatlichen Organen.

Da sich die allermeisten Journalisten daran halten, ist der Unsinn widerlegt, den die Fuwem gerne unter dem Stichwort «Das Transatlantik-Netzwerk» verbreiten: Da sieht man dann in einer schnittmusterartigen Grafik, dass sämtliche Medien direkt aus den USA, via eine Atlantik-Brücke, die Bilderberg-Meetings und einem Ding namens Trilaterale Kommission ferngesteuert werden.

Nope.

Es hilft mir auch für die alltägliche Arbeit, diese Dokumente parat zu haben. Da hat neulich eine PR-Dame Folgendes geschrieben:

Wir haben ganz wenige Media Samples [eines tollen neuen Produkts] verfügbar, von welchen wir gerne auch Ihnen exklusiv eines zukommen lassen möchten. Sie dürfen es sogar behalten. Voraussetzung ist, dass aus dem Test definitiv eine Berichterstattung erfolgt. Was meinen Sie, passt das in Ihren Redaktionsplan?

Wenn man seinen Job ernst nimmt, dann braucht man darüber nicht nachzudenken, sondern schreibt zurück: «Was die Bedingung angeht, weise ich Sie gerne darauf hin, dass die den journalistischen Standesregeln widerspricht. Siehe ‹Pflichten der Journalistinnen und Journalisten› des Schweizer Presserats, Seite 36: ‹Vergünstigungen an ganze Gruppen von Journalistinnen und Journalisten sind akzeptabel, wenn sie nicht mit Bedingungen verknüpft sind und die Berichterstattung frei bleibt.›»

2 Kommentare zu «Von Verunglimpfungen und unmoralischen Angeboten»

  1. Dass Du Deinen Job ernst nimmst, steht ausser Frage. Ich finde das Wort “Lügenpresse” auch fehl am Platz, besonders in der Schweiz. Aber es ist schon so, dass man besonders in Online-Medien nicht mehr viel von journalistischen Grundsätzen hält. Da entspricht der Text von “Produkttests” häufig dem, den man von der PR-Abteilung des Herstellers zusammen mit dem Testgerät erhalten hat. Auch sonstige Grundsätze wie die Gegenseite anzuhören oder zwei unabhängige Quellen zu haben werden häufig ignoriert.

    Das hat aber wohl finanzielle Gründe und bedeutet selbstverständlich nicht, dass unsere Medien von einer jüdischen Weltverschwörung oder so gesteuert werden.

  2. Da hast du recht. Bei machen Medien scheint «Hauptsache etwas auf der Seite» das Kredo zu sein. Und ich fürchte, dass auch das Native Advertising zu einem brutalen Bumerang werden wird, was die Glaubwürdigkeit angeht. Da tun die Verlage alles, um die Leser im Dunkeln zu lassen, worum es eigentlich geht. Neulich habe ich als Auszeichnung von bezahlten Beiträgen den Begriff «Branded Content» gelesen. Warum nennt man das so und schreibt nicht «Bezahlter Beitrag» hin?

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