Dieser Bilder-Autopilot kriegt nicht jede Kurve

Photolemur ist eine bei Facebook beworbene Software, die verspricht, Bilder vollautomatisch perfekt nachzubearbeiten. Einer kritischen Prüfung hält dieses Versprechen nicht stand.

Das ist der allererste Blogpost, der aufgrund einer Facebook-Werbung entstanden ist. (Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es der letzte Blogpost ist, der diesen Ursprung hat.) Ich habe in der letzten Zeit nämlich häufig eine Werbung für ein Bildbearbeitungsprogramm namens Photolemur gesehen. Die hat den Mund recht voll genommen: «Mach deine Fotos per Autopilot toll!»

Will ich wirklich, dass mein Kopf so viel Magenta abbekommt? Doch eher nicht.

Autopilot bedeutet, dass man selbst nichts tun muss: Man lädt sein Foto, lässt die App machen und exportiert hinterher sein aufgehübschtes Bild:

Let the Automagic Technology powered by Artificial Intelligence do all the photo editing for you.

Wenn schlimme Wortschöpfungen wie «Automagic» auf Trendschlagwörter à la «Artificial Intelligence» treffen, dann wurde für meinen Geschmack zu dick aufgetragen. Und wenn ich dieser Tage «künstliche Intelligenz» höre, werde ich sowieso misstrauisch.

Algorithmen können viel. Aber!

Nicht dass ich solchen algorithmischen Tausendsassas nicht Wunder weiss ich was zutrauen würde – das tue ich (siehe Lass das mal die Software machen und Software lernt, Bilder zu verstehen). Aber ich glaube eben nicht, dass es eine künstliche Intelligenz gibt, die das vollautomatisch hinbekommt. Bildbearbeitung ist keine absolute Wissenschaft, sondern eine Sache des persönlichen Geschmacks:

Die Kontraste optimieren und einen leicht schrägen Horizont geraderücken – das schafft ein Algorithmus im Alleingang. Aber alles, was darüber hinausgeht, ist eher Kunst als Handwerk. Und da die «Automagic Technology» nicht weiss, ob ich meine Bilder stark gesättigt oder schwarzweiss bevorzuge, ob ich ein expressionistischer Lomo-Typ oder ein zurückhaltender Bildjournalist bin, ob ich eher auf High key oder auf Bleach bypass stehe, wird sie Mühe haben, mich glücklich zu machen.

Künstliche Intelligenzen brauchen Führung

Darum bin ich skeptisch: Künstliche Intelligenz als Hilfsmittel kann, wenn sie ihre Sache gut macht, die Arbeit erleichtern. Aber sie bekommt den Job nicht im Alleingang hin.

Nicht völlig verkehrt… aber will man die Aare wirklich so dunkel haben?

Das erste Bild bestätigt die Vermutung. Es ist ein Schnappschuss des Atomkraftwerks Gösgen aus dem Flugzeug. Etwas flau, weil durch die Scheibe fotografiert. Im Resultat sind die Farben und Kontraste kräftiger. Aber das Bild ist mir im Schnitt eher zu dunkel – und natürlich hätte ich den Kühlturm gerade gerückt und einen interessanteren Zuschnitt gewählt. Meine manuelle Bearbeitung zum Vergleich findet sich am Ende des Beitrags.

Photolemur zeigt unten rechts neben dem Exportieren-Knopf ein Pinselchen. Die Hoffnung, dass es manuelle Anpassungsmöglichkeiten eröffnet, zerschlagen sich allerdings. Man kann über diesen Befehl die Änderungen graduell zurückfahren, aber nichts anderes einstellen.

Wie kitschig soll es denn werden?

Ein zweiter Versuch mit einer kitschigen Morgenstimmung, von unserem Küchenfenster aus fotografiert. Die kann durchaus kräftige Farben vertragen – denn das ist die Art von Bild, bei der man es auch via Instagram gerne übertreibt.

Nach dem Laden des Bildes und dem Klick auf den Magie-Knopf wird einiges Brimborium veranstaltet: Linien huschen übers Bild und Einblendungen wie «Führe einige Zaubertricks aus» sollen keine Zweifel daran lassen, dass nun viele kleine Algorithmen ganz fleissig jedes einzelne Pixelchen dreimal auf links und wieder zurückdrehen, um das Maximum aus dem Knipswerk herauszuholen.

Da ginge noch mehr, wie die Instagram-Variante zeigt.

In Wintower-Beispiel (übrigens, Wintower stammt wortschöpfungsmässig aus der gleichen Schublade wie Automagic) geht mir die Software zu zurückhaltend ans Werk: Das Morgenrot wird dezent verstärkt und ohne den Halo hinter dem Gebäude zu betonen, wie man es mit einer simplen Vignette hätte tun können. Mir gefällt aber, wie die Struktur der Bäume im Vordergrund herausgearbeitet wird. Die wirken hinterher richtig dreidimensional.

Was macht Photolemur mit Gesichtern?

Da in den Einblendungen auch von Gesichtserkennung die Rede ist, probiere ich es noch ein drittes Mal mit einem Foto, auf dem ein Mensch zu sehen ist (zufälligerweise ich). Die Gesichtserkennung könnte einen echten Unterschied machen: Typischerweise sind die Menschen in einem Bild die Hauptsache. Eine Bildbearbeitung sollte sich an den Köpfen orientieren und die möglichst ausgewogen abbilden. Es kann sogar sinnvoll sein, die Personen zu maskieren und mit leicht anderen Parametern zu bearbeiten als die Umgebung.

Das trifft für das Beispielbild zu: Da wie beim Wintower-Beispiel eine tief stehende Sonne ein starkes Gegenlicht und einen spektakulären Himmel verursacht, darf man bei den Farben Guzzi geben, wie man hierzulande sagt: Ein Sonnenuntergang darf auf keinen Fall flau sein; er sollte aber auch nicht ins comichafte kippen.

Man möchte nicht unter Bluthochdruckverdacht geraten

Das Gesicht seinerseits ist in der Originalvariante farbgesättigt genug. Wenn die Farben im ganzen Bild gleichmässig verstärkt werden, dann wird aus der leicht getonten Gesichtsfarbe pinkrosafarbener Matsch – und das ist das Gegenteil von schön. Darum muss man entweder den Entscheid fällen, die Farben so zu lassen, wie sie sind. Oder man muss sich die Mühe machen, Vordergrund und Hintergrund separat zu behandeln.

Photolemur tut das leider nicht. Bei diesem Bild verursacht die Software eine Verschlimmbesserung. Sie merkt auch nicht, dass der Horizont leicht nach links kippt. Den schrägen Meeresspiegel könnte man unkompliziert gerade richten, auch wenn man sich aus künstlerischen Gründen vielleicht dagegen entscheiden würde. Von einer Software, die automatisch handwerklich solide Aufbesserungen vorzunehmen verspricht, hätte ich das aber auf alle Fälle erwartet.

Manchmal besser – manchmal auch schlechter

Fazit: Für mich ist diese Vollautomatik-Methode ohne jegliche manuelle Eingreifmöglichkeit nichts. Die Resultate sind nach der Korrektur manchmal etwas besser, manchmal jedoch auch schlechter als vorher. Die künstliche Intelligenz, die sich in motivspezifischen Anpassungen bemerkbar machen müsste, habe ich nicht so richtig erkennen können.

Photolemur ist für Windows und Mac und sowohl als eigenständiges Programm als auch als Plugin für Lightroom, Photoshop und Apple Fotos zu haben. Das Programm kostet 34.99 US-Dollar für eine Lizenz oder 35 US-Dollar fürs Familienpaket mit fünf Lizenzen.

Hier das Resultat einer manuellen Bearbeitung des Gösgen-Fotos. Die wichtigste Korrektur ist die Lage des Kühlturms und der Bildschnitt.

One thought on “Dieser Bilder-Autopilot kriegt nicht jede Kurve

  1. Um auf dein Fazit zurückzukommen: es gibt meiner Meinung nach einen Vorreiter in Sachen künstliche Intelligenz für automatische Motivanpassungen und das ist die App Snapchat. Für Fotografen sicherlich weniger von Bedeutung, aber unabhängig davon sind die Macher auf einem guten Weg, KI-Motivanpassung auf ein hohes Niveau zu bringen. Ich hoffe, dass es die durchaus jetzt schon guten App-internen Algorithmen von Snapchat eines Tages auch bis in die professionellen Bildbearbeitungsprogramme schaffen werden.
    Bis dahin schraubt man aber lieber weiter selbst an der Farbkorrektur und dem Weißabgleich, weil es einfach bessere Ergebnisse verspricht. Und die richtige Bildbearbeitung ist und bleibt wohl ungefragt auch ein gewisses Kunsthandwerk.

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