Flattr ist gescheitert, endgültig

Flattr ist 2010 angetreten, um ein nachhaltiges Finanzierungsmodell für Blogs, Podcaster und alle anderen unabhängigen Internetpublizisten zu liefern. So gut diese Idee war – sie hat sich leider nnicht durchgesetzt.

Dass Flattr gescheitert ist, habe ich schon einmal verkündet. Im ersten Beitrag mit diesem Titel habe ich obendrein eine tolle Lösung vorgeschlagen, wie man gute Webinhalte finanzieren müsste – und wie man gleichzeitig das lästige Werbeproblem lösen könnte: Bitte hier nachlesen!

Wenn er keinen Hut aufstellt, braucht er sich auch nicht über mangelnde Einnahmen zu wundern. (Bild: Caio/Pexels.com, CC0)

Beim ersten Abgesang von Anfang 2015 ging es um enttäuschte Erwartungen. Damals hat sich abgezeichnet, dass Flattr nicht die Revolution sein würde, die wir Blogger und Podcaster uns erträumt hatten.

Heute geht es um das definitive Aus. Der Flattr-Knopf funktioniert zwar noch, aber Flattr selbst empfiehlt, ihn nicht mehr zu verwenden (The Flattr button is history). Ich werde ihn bei Erscheinen dieses Beitrags von meinem Blog entfernt haben (oder das demnächst tun, falls ich immer noch nicht dazu gekommen bin). Ich werde ihn entfernen, sobald ich in näherer oder ferner Zukunft dazu komme.

Die Post-Mortem-Analyse

Es ist Zeit für eine Analyse: Flattr, das war am Anfang dieses Jahrzehnts eine ermutigende Sache. Ich habe in meiner Vorstellung mir ein explizites Urteil zwar verkniffen. Aber ich habe den Flattr-Button sogleich in mein Blog eingebaut und auch selbst fleissig geflattrt. Das finanzielle Fazit: Ich habe von Oktober 2010 bis August 2017 insgesamt 108 Flattrs und 114,68 Euro erhalten. Dafür wurden mir 8,45 Euro Gebühren abgezogen, was einer Nettoeinnahme von 106,23 Euro entspricht. Andere waren deutlich erfolgreicher, vor allem in Deutschland, wo Flattr viel besser Fuss gefasst hat. Doch für Schweizer Verhältnisse liegt mein Flattr-Einkommen im Rahmen. Immerhin: Es gäbe ein Essen zu zweit, wenn man es denn aus Flattr rausbekommen würde. Wenn man sein Geld abziehen will, wird man wie folgt informiert:

Legal information required to be able to withdraw any revenue you received.

Man müsste also den Scan eines Ausweisdokuments irgendwohin hochladen. Und das wird man als vernünftiger Mensch nicht tun wollen. Fazit: Am Ende ist Flattr eine Nullnummer. Grund war laut Flattr der Euro. Die Amis hätten deswegen nicht mitgemacht, weil sie keine Ahnung haben, wie viel oder wenig ein Euro wert ist. Kann sein. Ich glaube eher, dass die Zeit noch nicht reif war. Mehr dazu ganz am Schluss dieses Posts.

«Kein Scheitern, sondern Neustart», sagt Flattr

Flattr selbst spricht nicht von einem Scheitern, sondern von einem Neustart: Flattr schwenkt auf ein Modell ein, bei dem Inhalte automatisch geflattrt werden, ohne dass man einen Knopf verwenden müsste. Als Teilnehmer installiert man eine Erweiterung im Browser und die flattrt alles, was ihr in die Quere kommt. Um geflattrt zu werden, muss man nur seine Website und die Social-Media-Konten hinterlegen.

Dieses neue Konzept ist in Zusammenarbeit mit der Eyeo GmbH entstanden, die hinter dem Werbeblocker Adblock Plus steht. Laura Dornheim von Adblock Plus hat im Juni 2016 im Digitalmagazin (heute Nerdfunk) Auskunft zu diesem Konzept gegeben. Laut Wikipedia hat Eyeo Flattr im April 2017 übernommen.

Ich werde mir gerne ansehen, was das bringt. Aber ich denke nicht, dass sehr viele Leute auf diese neue Methode anspringen werden. Einerseits gibt es grosse Vorbehalte gegenüber Adblock Plus, der von manchen nicht als Werbeblocker, sondern als «Konkurrenzblocker» gesehen wird.

Das Giesskannenprinzip als Problem

Aber der grössere Vorbehalt dürfte darin bestehen, dass die meisten Leute ihr Geld nicht nach dem Giesskannenprinzip ausgeben wollen. Auch für mich ergibt das keinen Sinn: Ich nutze das Web und meine Browser sowohl privat als auch beruflich. Will ich für eine Job-Recherche die verwendeten Quellen flattrn? Nein, oder zumindest nur dann, wenn ich das als Spesen geltend machen könnte.

Will ich alle Quellen flattrn, die ich privat besuche? Nein, auch das nicht. Denn weil ich bewusst aus meiner Filterblase ausbreche, besuche ich oft Sites, die ich als nicht unterstützenswert erachte: Verbreiter von Verschwörungstheorien und politischen Ansichten, mit denen ich nicht übereinstimme. Anbieter seltsamer Software und kurioser Apps. Donald Trumps Twitter-Feed. Und viel Schräges, Kurioses, Absurdes und Verabscheuungswürdiges, das ich weder mit Geld noch ideologisch unterstützten wollen würde.

Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass man seine konsumierten Informationen im Netz bezahlen sollte, egal, ob man sie nun konsumiert hat, um mit ihnen übereinzustimmen oder sich dagegen aufzulehnen. Man entrichtet anders als beim alten Flattr kein Trinkgeld, sondern man leistet einen Beitrag an die Gestehungskosten. Die Logik des Verursacherprinzips hat etwas für sich: Man nimmt ein Angebot in Anspruch, also soll man auch dafür bezahlen. So wie man sein Mittagsessen auch dann bezahlt, wenn es nicht geschmeckt hat. (Gut, manche laufen in dem Fall aus dem Restaurant und lassen den Teller stehen.)

Nicht alle gehören in einen Topf

Die «Bezahl-was-du-konsumierst»-Argumentation verfängt aus zwei Gründen nicht: Einerseits, weil das Zahlen nicht obligatorisch ist und längst nicht alle mitmachen.

Ein Verursacherprinzip ist aber nur dann gerecht, wenn alle Verursacher miteinbezogen werden. Andererseits, weil nicht alle Anbieter im Web die gleichen Kosten haben: Ein liebloses Clickbaiting-Portal, das seinen Traffic mit aus dem Web zusammengeklauten Dingen macht, braucht nicht den gleichen Support wie ein mit Herzblut bloggender Blogger, ein kreativer Podcaster oder ein hart recherchierendes Medienunternehmen. Die Website einer politischen Partei, die von Milliardären finanziert wird, benötigt nicht die gleiche Zuwendung wie ein mutiges NGO oder eine kreative Nonprofit-Gruppe. Und wenn ich bei Novartis die Nebenwirkungen meines Schnupfenmittels studieren will, möchte ich dann, dass Novartis dafür noch geflattrt wird?

… klar, da könnte man mit einer Blacklist operieren oder den Nutzern die Möglichkeit geben, ihre getätigten Flattrs vor der Ausbezahlung zu überprüfen. Aber das wäre sogar im Vergleich mit dem alten Flattr-Knopf unelegant und umständlich.

Es bleibt ein Traum, vom Bloggen zu leben

Kurz: Auch wenn ich selbst es toll fände, wenn es eine gute Möglichkeit gäbe, dass wir Blogger vom Bloggen leben könnten, ist der Flattr-Neustart IMHO zum Scheitern verurteilt. Ich könnte mich nun Patreon zuwenden, wie das viele tun. Diese Plattform funktioniert nach dem Crowdfunding-Prinzip und die Idee ist, dass man wiederkehrend eine Unterstützung erhält. Das ermöglicht es den Unterstützten abzuschätzen, wie gross das regelmässige Einkommen ist – und sich so eine echte Existenz aufzubauen.

Wenn man sich via Patreon unterstützen lässt, dann ist das eine echte Verpflichtung – man muss abliefern, sowohl qualitativ und quantitativ. Für dieses Blog hier würde sich das nicht richtig anfühlen: Ich möchte hier machen, was ich will – und mich auch nicht verpflichtet fühlen, einen bestimmten Output zu liefern. Immerhin, als kleinen Flattr-Ersatz habe ich einen Paypal-Me-Link eingerichtet. Darüber könnt ihr mir ein Bier oder einen Tee spendieren: paypal.me/schuessler

Das breit abgestützte Finanzierungsmodell fürs Web lässt noch auf sich warten

Fazit: Schade, dass Flattr nicht verfangen hat. Wahrscheinlich braucht es noch ein bisschen… Erst wenn die Erkenntnis bei der grossen Mehrheit verfangen hat, dass Werbung im Netz nicht funktioniert und überhaupt noch nie jemals funktioniert hat, dann wird die Zeit reif für ein gutes, breit funktionierendes, demokratisches und faires Finanzierungsmodell im Web reif sein.

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