Reduce to the min

Der neue Schlankheitswahn bei der Software: Programmoberflächen werden entrümpelt und Programme kommen plötzlich übersichtlich und aufgeräumt daher.

Wenn Firefox 4 in der ersten Beta zum ersten Mal am Bildschirm erscheint, glaubt man erst, versehentlich das Icon von Google Chrome angeklickt zu haben.

Die Zeit der grossen Symbolleisten ist vorbei.

Mozilla hat sich extrem stark von Chrome inspirieren lassen; und gibt damit Google recht. Die haben immer behauptet, sie würden Chrome lancieren, um für Innovation und Inspiration zu sorgen.

Steckt Google hinter diesem Trend?

Google als prägende Kraft. Oder vielleicht auch nicht. Obwohl es fast schon schamlos ist, wie die Mozilla-Stiftung bei Google abkupfert und man vielleicht doch noch ein paar eigene Ideen in die aufs Ende Jahr erwartete grosse neue Firefox-Version stecken sollte, halte ich nicht Google für den Erfinder dieser neuen Schlichtheit.

Ich glaube vielmehr, dass es sich um einen universellen Trend handelt. Google hat ihn am ehesten erkannt und die Mozilla-Stiftung zieht jetzt nach. Und wir können darauf warten, dass Opera, Apple und zu guter Letzt Microsoft Browser entwickeln, die standardmässig keine Lesezeichen- und Symbolleiste, keine Menüs, und keine Statusleiste haben (wobei die bei Firefox 4 standardmässig eingeschaltet ist).

Suche und Adresse im gleichen Feld

Der neue Browser hat ein Browser-Fenster mit einem universellen Eingabefeld für die Suche und für Adressen. Daneben einige wenige Schaltflächen wie Vor, Zurück, Reload, Home und die Lesezeichen. Und irgendwo ist ein Aufklapp-Menü für weitere Befehle versteckt.

Das ist eine erstaunliche Entwicklung. Die Monitore werden immer grösser, die Bedienelemente der Programme schrumpfen dezent. Als Beweis für meine Megatrend-Theorie führe ich Office 2010 an. Der Ribbon, also der Menü-Ersatz am oberen Fensterrand, ist zwar eine reichlich klobige Angelegenheit. Allerdings kann man den Ribbon durch einen Klick auf die Schaltfläche Menüband minimieren oder via Ctrl + F1 verkleinern. Das sieht dann so aus:

Auch hier gilt: weniger ist mehr.

Da sind etwa so viele Bedienelemente sichtbar, wie beim Windows-Editor. Software hat sich vom Zwang befreit, mit einem Überfluss an Features zu prahlen. Options-Orgien sind nicht mehr gefragt. Fenster sollen schlicht und übersichtlich sein.

Es braucht nicht mehr das grosse Schaufenster für alle Features

Eine sinnvolle Entwicklung. Der Anwender weiss längstens, dass Software «alles» kann. Es ist nicht mehr nötig, die Funktionsvielfalt mit überladenen Fenstern zu zelebrieren. Und wir gewöhnen uns zunehmend an Mobilgeräte, deren Apps uns vorführen, wie schön eine schlichte, einfache Software doch sein kann.

Ein Problem scheint mir noch nicht gelöst. Es ist nicht so, dass die Funktionsvielfalt plötzlich verschwinden würde. Die so einfach scheinenden Programme können genau so viel wie vorher. Die Funktionen werden lediglich kaschiert. Wenn man bei Word 2010 den Ribbon einblendet, springt einem die ganze Komplexität ins Gesicht. Für ungeübte Anwender ist das kein Segen.

Die verzweifelte Suche nach Befehlen

Viele Umsteiger, die zum ersten Mal vor Windows 7 sitzen, suchen verzweifelt nach wichtigen Befehlen. Bis sie dann irgendwann merken, dass Sie via Alt-Taste die Menüleiste einblenden können und dort die vermissten Kommandos finden.

Also was nun? Software wirklich radikal vereinfachen und alle Funktionen entfernen, die nicht wirklich nötig ist? Wohl nicht. Software wird nicht einfacher werden, aber zumindest so aussehen. Das passt – denn wer würde schon abnehmen wollen, wenn er schlank aussehen kann…

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